Gedanken eines Anwohners

Ich wohne gerne in Ottensen und dies seit über 60 Jahren. Ich habe hier fast alles, was ich zum Leben brauche: Lebensmittelgeschäfte, Fachgeschäfte, viermal die Woche Wochenmarkt, Apotheken und Ärzte. Ich kann schöne Blumen bei Blumen Schröder kaufen, meinen Sofabezug zu Fuß bei Comet gegenüber in die Reinigung bringen. Und wenn mal ein Fenster klemmt, rufe ich bei der Tischlerei Quattro an – die sind gleich gegenüber und kommen schnell mal rüber zu mir.

Deswegen brauche ich eigentlich kein Auto und fahre mit dem Rad zur Arbeit. Offensichtlich brauchen viele Ottenser kein Auto, denn ich habe gehört, nur 27 % der Ottenser haben ein Auto. Einige davon stehen im Parkhaus und einige stehen bei uns in den Straßen. Überwiegend parken hier allerdings Beschäftigte der Betriebe und Besucher der Restaurants und Kneipen. Und natürlich brauchen die Geschäfte auch Parkplätze für Ihre Kunden, denn nur von uns Ottensern können die nicht alle leben.

Was mich eigentlich viel mehr stört ist der Durchgangsverkehr in der Kepler- und Eulenstraße und dass die Fahrradfahrer immer auf den Fußwegen und durch die Fußgängerzone fahren.

Als die Ankündigung für das autofreie Pilotquartier kam, habe ich gedacht: Mensch, das ist doch eine Chance für unseren Stadtteil. Aber dann habe ich Gespräche geführt beim Einkaufen und festgestellt, dass einige meiner liebsten Geschäfte ganz schön Probleme bekommen werden: Die Apotheken müssen 6-8 Mal am Tag beliefert werden, um dringende Medikamente zu besorgen, Blumen Schröder muss größere Blumensträuße an Kunden außerhalb unseres Stadtteils ausliefern, die Reinigung hat Stammkunden von außerhalb, die auf dem Weg zur Arbeit mit Sofabezügen oder Teppichen mit dem Auto kommen, die Tischlerei Quattro bekommt Holz geliefert und manche Kunden holen die fertigen Möbelstücke ab und so weiter. Und wenn diese Gewerbetreibenden zukünftig nur noch zwischen 23 und 11 Uhr ausliefern und beliefert werden dürfen, wie es die sog. „Spielregeln“ des Pilotversuchs vorsehen, kriegen die große Probleme. Und wenn die nicht mehr da sind, haben wir hier bald nur noch Bäcker und Optiker. Dann muss ich im Internet bestellen und mir die Ware liefern lassen, was noch mehr Verkehr erzeugt.

Und meine älteren Nachbarn, die nicht mehr richtig laufen können und ein Auto brauchen oder die Oma, die ihre Enkel besucht und auf die Kinder aufpasst, während die Mutter arbeitet. Die bekommen richtig Probleme, weil sie gar nicht mehr mit dem Auto vor ihre Wohnung fahren dürfen.

Da habe ich mich gefragt: Warum machen die dieses Pilotprojekt gerade in den beiden Straßen, in denen viele unserer Geschäfte sind und wo viele Menschen wohnen? Wir sind ja hier keine tote Innenstadt, die belebt werden muss. Und der Durchgangsverkehr in der Keplerstraße und Eulenstraße, der fährt weiter durch unseren Stadtteil.

Für wen soll denn Platz gemacht werden? Ich könnte mir an stark belebten Stellen mehr Platz vorstellen, indem der Gehweg verbreitert wird: am Spritzenplatz oder vor dem einen oder anderen Bäcker – dort könnten tagsüber Stühle stehen oder Parkplätze für Lastenfahrräder angelegt werden. Für die müssen wir übrigens dringend Lösungen finden. Und dazu ausgeschilderte Parkzonen für die Kunden und Lieferanten – die dann aber auch kontrolliert werden müssen. Und warum nicht beispielsweise den Sonnabend autofrei machen, wenn wenig geliefert wird, aber viele Kunden hier sind und sowieso viel los ist rund um den Spritzenplatz.

Warum muss man also komplett die gesamte Woche über sämtliche Autos (mit Ausnahme des Lieferverkehrs und der Taxis) verbannen, um etwas mehr Platz an einigen frequentierten Standorten zu schaffen. Soviel Picknick und Yoga können die Ottenser doch gar nicht machen. Und warum werden die 73 % parkenden Autos, die nicht von uns Ottensern kommen, nicht stärker kontrolliert. Hier darf man doch überwiegend nicht länger als 3 Minuten halten.

Und so bin ich zu dem Schluss gekommen, das Pilotprojekt könnte meine Lebensqualität hier deutlich verschlechtern. Deswegen fände ich es sinnvoller, ein autoarmes Quartier zu schaffen: mit mehr Platz für Fußgänger und Radfahrer, aber immer noch Möglichkeiten für die Anwohner, ihren Alltag zu bewältigen und für die Geschäfte, ihren Betriebsablauf zu organisieren. Dafür gibt es das Konzept des Bewohnerparkens, das 2020 auch bei uns eingeführt werden soll. Vorher möchten unsere Politiker aber unbedingt noch einmal ein halbes Jahr ausprobieren, wie es ganz ohne Auto geht – da bekomme ich doch echt Angst. Auch wenn Politik und Verwaltung sagen, bei Misserfolg wird das Projekt nicht fortgeführt, hab ich doch Angst, dass „Misserfolg“ heißen könnte, einige meiner Lieblingsgeschäfte bleiben auf der Strecke. Dann wäre zwar Platz für neue Geschäfte, aber so ist der Slogan „Ottensen macht Platz“ ja wohl nicht gemeint.

Deshalb finde ich es gut, dass die neue Initiative von Anwohner und Gewerbetreibenden „Ottensen bewegt“ jetzt Aufklärungsarbeit leistet, einzelne Gewerbetreibende und Anwohner unterstützt und im Dialog mit dem Bezirksamt steht. Damit es ein sinnvolles Pilotprojekt wird, das Chancen im Sinne einer Verkehrswende bietet, aber keine unkalkulierbaren Risiken für die Anwohner und Gewerbetreibenden.

Beste Grüße

Klaus Mensing

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